.
Ich möchte Gaza lieben, aber ich kann es nicht
Gastbeitrag von Asmaa Tayeh
06.06.2018

Ich erwachte aus einem Alptraum und schaltete, kurz bevor er losgehen konnte, meinen Handyalarm aus. Ich weiß nicht, wovon ich geträumt habe, aber ich weiß, dass es ein Alptraum war. Es ist so lange her, dass ich in Frieden schlafen konnte. 4 Uhr morgens ist die perfekte Zeit, um für das islamische al-fajer Gebet aufzuwachen, aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich meinen Wecker für diese Stunde gestellt hatte.
Obwohl ich noch viele Schularbeiten beenden musste, bin ich letzte Nacht früh schlafen gegangen, weil der Strom abgeschaltet war. Die Batterie meines Routers war leer, sodass ich meine Internetverbindung verlor, danach versagten meine Handy- und Laptopbatterien. Der Strom fiel für 14 Stunden aus, also ging ich zu Bett. Ich stellte meinen Wecker auf 4 Uhr morgens, damit ich meine verschiedenen Geräte aufladen konnte, sobald der Strom wieder angehen würde.
Mein Leben, zusammen mit etwa 2 Millionen anderer Menschen in Gaza, dreht sich um den Stromzeitplan. (Seit fast vier Monaten haben wir nur etwa vier Stunden am Tag Elektrizität und in letzter Zeit – wo der Sommer natürlich immer heißer wird – sind es nur noch drei). Manchmal muss ich mich, abhängig von diesem Zeitplan, für ganz banale Dinge entscheiden, wie etwa, was und wann ich zu Mittag esse oder einen Freund besuche. Der Zeitplan kontrolliert mich, aber ich kann ihn nicht kontrollieren.
Ich ertappe mich dabei, vehement zu denken: „Ich hasse dich, Gaza!“ Ich weiß, dass die Menschen ihren Kindern beibringen, ihr Land und ihre Stadt zu lieben, auch meine Eltern. Und ich LIEBE Palästina wirklich (oder zumindest die Idee davon), aber es ist oft so schwierig, Liebe für Gaza zu empfinden. Ich möchte es von ganzem Herzen lieben, aber zu oft erlebe ich, wie es in meinem Kopf schreit: „Ich hasse Gaza!“.
Ich weiß, dass die vielen Unterstützer Palästinas im Ausland das nicht verstehen werden, also lasst mich versuchen zu erklären, warum ich und so viele andere Jugendliche hier diesen Schrei im Kopf haben:
.
.
Brief aus Gaza: „Der 17 Jahre alte Sohn meiner Cousine wurde erschossen.“
(PN) 17.05.2018 – Seit Montag haben israelische Soldaten 63 Palästinenser im Gazastreifen getötet – darunter acht Kinder –, über 3.100 palästinensische Demonstranten verletzt, davon 130 lebensgefährlich. Beschossen wurden auch erneut Journalisten, Sanitäter und Schwerbehinderte.

In einem Brief an Freunde und Bekannte in Deutschland schildert Dr. Abed Schokry aus Gaza, was diese Gewalt für die Menschen im Gazastreifen bedeutet.
Wir geben seinen Brief hier wieder:
Gaza am 15. Mai 2018
Sehr geehrte Damen und Herrn,
Liebe Freundinnen und liebe Freunde,
Meine letzte Email hatte ich mit den Sätzen: „Ich bin wütend“ und „ich bin verzweifelt“ begonnen. Nach den Ereignissen gestern, bin ich nun sprachlos, fassungslos, machtlos, ohnmächtig. Und um ehrlich zu sein, weiß ich nicht so recht, wie ich in Worte fassen kann, was in mir vorgeht, was ich zum Ausdruck bringen möchte. Denn es ist gestern ein Verbrechen/Blutbad geschehen, es wurde ein Massaker verübt, das zum Himmel schreit.
Die Täter sind die Soldaten und Befehlshaber und letztlich die Regierung „der einzigen Demokratie im Nahen Osten“. Die Opfer sind die unbewaffnet demonstrierenden Palästinenserinnen und Palästinenser an der von Israel festgesetzten Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel. Die Demonstranten mit leeren Händen, nur mit Mut und Courage ausgerüstet. Sie tragen keine Schutzanzüge, keine Gewehre, keine Zielfernrohre wie die Soldaten auf der anderen Seite. Diesen Soldaten wurde kein Haar gekrümmt, keiner von ihnen wurde verletzt. Aber sie schießen auf Männer, Frauen und Kinder. Es gibt Videos, in denen zu hören ist, wie sie sich über einen „Treffer“, einen Erschossenen freuen. Das ist so unglaublich menschenverachtend, dass ich laut schreien möchte. …
.
.
Wird 2018 eine dritte Intifada in Gaza bringen?
Gastbeitrag von Fadi O. Al-Naji
02.05.2018

Was bringt die palästinensische Jugend von Gaza dazu, an der Grenze zu demonstrieren, trotz Israels Vergeltung (wie üblich) mit Scharfschützen, explodierenden Kugeln und einem Tränengas, das Krämpfe auslöst? Warum besteht sie darauf, Widerstand zu leisten, obwohl es eine geradezu aberwitzig asymmetrische Konfrontation ist – Fahnen und Steine gegen scharfe Munition? Ist ein solches Blutopfer es wert?
Seit der letzten wirklichen Intifada ist mehr als ein Jahrzehnt vergangen. Und obwohl es seither sporadische Demonstrationen im Gazastreifen gegeben hat, muss ein weiterer Bürgeraufstand gegen Israel erst noch stattfinden. Zumindest bis jetzt.
.
.
Brief aus Gaza: „Mit welchem Recht geschieht mir und uns das alles?“
(PN) 09.04.2018 – Am vergangenen Freitag erschoss die israelische Armee erneut zehn Palästinenser bei Protesten am Grenzzaun vom Gazastreifen. 1354 Palästinenser wurden nach Angaben des Palästinensischen Gesundheitsministeriums verletzt, davon 491 durch scharfe Munition. 33 schwerverletzte Palästinenser befinden sich in einem kritischem Zustand. Nachdem bereits am Karfreitag Israel gegen die Protestierenden im Gazastreifen mit tödlicher Gewalt vorgegangen war, sind durch israelische Angriffe in einer Woche mindestens 31 Palästinenser getötet und mehr als 2800 im Gazastreifen zum Teil lebensgefährlich verletzt worden.
In einem gestern verfassten Brief an Freunde und Bekannte in Deutschland schildert ein Bewohner Gazas, Dr. Abed Schokry, wie dieses Vorgehen Israels und die mangelnde Reaktion der Welt darauf die Menschen im Gazastreifen verzweifeln lässt.
Wir geben seinen Brief hier im Wortlaut wieder.

Gaza am 08ten April, 2018
Sehr geehrte Damen und Herrn,
Liebe Freundinnen und liebe Freunde,
Ich bin verzweifelt und ich bin auch wütend.
Gaza wehrt sich gegen die unmenschlichen Lebensbedingungen, gegen die völkerrechtliche Abriegelung, die den Gazastreifen zu einem Gefängnis für zwei Millionen Menschen macht. Initiiert wurden die Proteste von verzweifelten Menschen, an denen an beiden Wochenenden jeweils 20 000 – 30 000 teilnahmen.
Einer der Initiatoren ist der 43 Jahre alte Lehrer Al-Kurd, der anlässlich der alljährlichen Erinnerung an Flucht und Vertreibung der Palästinenser durch die Israelis bzw. wegen der Staatsgründung Israels auf die desaströse Situation der eingesperrten Menschen im Gazastreifen aufmerksam machen will. Das Aufbegehren der Bewohner in diesem abgeriegelten Küstenstreifen kam aus der Mitte der Gesellschaft.
In einem friedlichen Protest zogen die Menschen Richtung Grenze, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, um die Welt wachzurütteln. Fahnen der Hamas (oder anderen politischen Gruppen) waren weit und breit nicht zu sehen, wenn sich auch Mitglieder der Hamas (und Fatah) dem Protest angeschlossen haben. Die Weltpresse, ganz besonders auch in Deutschland, verdreht diese Tatsache und beschuldigt die Hamas, die Proteste initiiert und gesteuert zu haben. Die Medien behaupten, die Hamas habe die Jugendlichen mit Steinen und brennenden Autoreifen an den Zaun geschickt, um in dieser geradezu lächerlichen Unterlegenheit gegen eine der am höchsten gerüsteten Armee der Welt vorzugehen. …
.
.
Mein Vater wurde inhaftiert, weil er glaubte, dass Palästina frei sein muss
(PN) 28.03.2018 – Am 27. Dezember 2017 wurde in Bethlehem der palästinensische Aktivist Munther Amirah von israelischen Grenzpolizisten verhaftet. Amirah hatte friedlich, mit einem Poster in der Hand stehend, für die Freiheit der 17jährigen Ahed Tamimi und ihrer Mutter Nariman und für Jerusalem als Hauptstadt Palästinas demonstriert, als sich nach rund einer Viertelstunde plötzlich und ohne erkennbaren Anlass ein israelischer Grenzpolizist auf ihn stürzte und ihn verhaftete.
Noch während Munther Amirah auf seine Verurteilung im Militärgefängnis wartete, veröffentlichte seine Tochter, Ghaida Amirah, Mitte Februar ein bewegendes Bekenntnis zu ihrem Vater. Wir geben den Text aus Anlass seiner Verurteilung hier ungekürzt wieder.

Von Ghaida Amirah
Ich wurde zu einer Zeit geboren, als die Menschen glaubten, dass die israelische Besatzung bald vorbei sein würde. Nach der Unterzeichnung des Oslo-Abkommens war mein Vater zuversichtlich, dass es bis zu meinem Schuleintritt keine israelische Besatzung mehr geben würde. Lange Jahre sind vergangen. Ich bin jetzt 23 Jahre alt und wurde gerade als Anwältin zugelassen. Aber mein Vater, Munther Amirah, sitzt jetzt in einem israelischen Gefängnis.
Mein Vater arbeitet als Koordinator des Bürgerwiderstandskomitees (PSCC) und ist der ehemalige Generalsekretär der Palästinensischen Gewerkschaft der Sozialarbeiter und Psychologen. Israelische Soldaten verhafteten ihn vor über einem Monat in Bethlehem, weil er gegen die Entscheidung der USA demonstrierte, Jerusalem als Israels Hauptstadt anzuerkennen. Seither hält ein israelisches Militärgericht meinen Vater im Gefängnis, obwohl sie keine der haltlosen Vorwürfe gegen ihn beweisen konnten.
Verständlicherweise wird Israel die wahren Gründe für seine Festnahme nicht nennen. Sie wissen, dass mein Vater in allen Anklagepunkten unschuldig ist, aber wollen, dass er und alle Palästinenser die systematische Verweigerung unserer Rechte akzeptieren. …
.
.