(PN) 05.12.2018 – Israelische Soldaten haben in der Stadt Tulkarem in der Westbank am Dienstag einen 22jährigen behinderten Palästinenser hinterrücks erschossen. Der Mann war unbewaffnet und friedlich, wie die Videoaufnahme einer Überwachungskamera zeigt, welche die Erschießung aufgezeichnet hat.

Der Erschießung vorangegangen war eine der berüchtigten Razzien der israelischen Armee, bei der schwerbewaffnete Soldaten nachts in einen Ort eindringen, Haustüren einschlagen und palästinensische Bewohner, auch Frauen und Kinder, aus den Betten zerren und stundenlang festhalten und bedrohen. Mit diesem Nacht für Nacht in der Westbank stattfindenden Terror soll die Bevölkerung in den von Israel illegal besetzten Gebieten in ständige Angst versetzt werden, damit sie nicht gegen die Besatzung aufbegehren.
In der Nacht von Montag auf Dienstag drangen israelische Soldaten in Tulkarem ein und begannen mit ihren Angriffen auf Wohnungen und Häuser von Palästinensern.

Jugendliche aus dem Ort begaben sich daraufhin auf die Straße und protestierten und warfen Steine. Die israelischen Soldaten eröffneten das Feuer auf die Demonstranten und setzten dabei auch scharfe Munition ein, wie ein Sprecher der israelischen Armee nach dem Vorfall einräumte.
Als er friedlich wegging, schossen israelische Soldaten ihm von hinten in den Kopf
Der 22jährige Mohammed Habali war an den Protesten nicht beteiligt. Nach Angaben seines Bruders, Alaa Habali, hatte er gerade das Café verlassen, in dem er arbeitet, und wollte die Straße überqueren, als er von den Vorgängen überrascht wurde.
Die Überwachungskamera eines Geschäftes gegenüber zeichnete auf, wie Habali sich zunächst den Bürgersteig vor den Geschäften entlang zu einer Häuserecke begibt und dort mit ein paar anderen jungen Männer etwas ratlos stehen bleibt. Später begibt sich der geistig behinderte Mann auf die Straße, um zu schauen, woher die Angriffe kommen, und scheint nicht recht zu begreifen, was hier geschieht.
Als er sich umdreht und gemächlich weggeht, treffen ihn unvermittelt Schüsse der israelischen Armee in den Hinterkopf und in den Unterleib, so dass er zu Boden stürzt. Stark aus dem Kopf blutend bleibt er liegen.
Auf einem weiteren Video, das im Internet kursiert, ist zu sehen, wie entsetzte Jugendliche versuchen, den massiv blutenden Habali in eine Seitenstraße zu ziehen. Dabei hinterlässt der Tote eine riesige Blutlache auf dem Asphalt.
Deutlich zu sehen ist auf den Videoaufnahmen der Tötung, dass der behinderte Mann keine Aggressionen zeigte und niemanden angriff, sondern friedlich über die Straße ging. Gleichwohl wurde er von israelischen Soldaten hinterrücks erschossen. Dass man ihn beim Weggehen von hinten erschoss, zeigt, dass von ihm keine Gefahr ausging, die den Einsatz tödlicher Mittel in irgendeiner Weise gerechtfertigt hätte.
Der Sprecher der israelischen Armee bestätigte den Einsatz scharfer Munition in der Nacht, wollte sich auf Anfrage zu der Erschießung des behinderten Mannes jedoch nicht äußern.
Ein „einfacher und stiller“ Mensch
Nach Angaben des Bruders des Getöteten, lebte der sprachbehinderte 22jährige mit sieben Brüdern und einer Schwester im Flüchtlingscamp von Tulkarem. „Er ist wirklich wunderbar“, sagte sein Bruder Alaa gegenüber Reportern, „immer hilfsbereit, überhaupt nicht der Typ, der Probleme bereitet.“ Sein Bruder sei „einfach und still“, so Alaa Habali, der, wie die Familie, den sinnlosen Tod des 22jährigen nicht begreifen kann.

Hunderte trugen den Leichnam des erschossenen Palästinensers am späten Dienstagnachmittag durch die Straßen von Tulkarem, dabei war die Trauer um den einfachen, stillen, behinderten Mann, sichtbar groß.
amnesty international rügt „Straffreiheit“
Laith Abu Zeyad, Vertreter von amnesty international in der Westbank, machte gegenüber der Nachrichtenagentur MiddleEastEye einen „Kreislauf von Straffreiheit“ für die fortdauernden Tötungen von Palästinensern in der Westbank verantwortlich. Israel habe seit Jahrzehnten alle Verpflichtungen aus internationalem Recht missachtet, indem es mit scharfer Munition und rechtswidrigen Tötungen auf Proteste und Steinewerfen reagiert habe. „Israel muss jene, die diese schlimmen Verbrechen begangen haben, in fairen Gerichtsverfahren zur Verantwortung ziehen. Wenn das nicht geschieht, werden die willkürlichen und sinnlosen Morde an Palästinensern durch Israels Armee kein Ende finden.“
Nach Angaben des Amtes für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) hat Israel allein in diesem Jahr in der Westbank mit Mohammed Habali 28 Palästinenser getötet. Im Gazastreifen starben zur selben Zeit 252 Palästinenser. 5.444 Palästinenser wurden in der Westbank durch israelische Angriffe verletzt, 25.222 Palästinenser im Gazastreifen – viele davon lebensgefährlich.
Kein einziger israelischer Soldat wurde bisher dafür zur Verantwortung gezogen.
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