(PN) 22.10.2018 – Die Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, Fatou Bensouda, hat in einer Erklärung die israelische Regierung daran erinnert, dass der Abriss des Beduinendorfes Khan al-Ahmar ein Kriegsverbrechen darstellen würde. Gleichzeitig äußerte sie erneut ihre Sorgen hinsichtlich der andauernden Gewalt am Grenzzaun von Gaza. Die Lage in Khan al-Ahmar bleibt derweil angespannt.

Sie werde die weitere Vorgehensweise der israelischen Regierung bezüglich Khan al-Ahmar sehr genau beobachten, schrieb Bensouda vergangene Woche in einer offiziellen Erklärung. „Gewaltsame Vertreibung scheint unmittelbar bevorzustehen, und damit ebenfalls die Aussicht auf weitere Eskalation und Gewalt.“
Ungewöhnlich klar wies Bensouda die Regierung Netanyahus auf die völkerrechtlichen Implikationen einer solchen Zerstörung hin.
„Man sollte sich grundsätzlich erinnern, dass umfangreiche Zerstörungen von Eigentum ohne militärische Notwendigkeit und die Vertreibung der Bevölkerung in einem besetzten Gebiet ein Kriegsverbrechen unter dem Römischen Statut darstellt.“
Sie werde nicht zögern, so die Chefanklägerin weiter, „angemessene Schritte“ im Rahmen des ihr zugedachten unabhängigen Mandats zu ergreifen.
Auch hinsichtlich der andauernden Gewalt am Zaun zu Gaza, bei der Israel bisher 217 palästinensische Zivilisten, darunter 40 Kinder, getötet und 22.897 Palästinenser verletzt hat, erinnerte die Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof die beteiligten Parteien daran, dass ihr Büro weiterhin Vorermittlungen durchführe. Es ist bereits das zweite Mal, dass Bensouda hofft, mit einem solchen Hinweis Israel von weiterer Gewaltanwendung abzuhalten.
Situation in Khan al-Ahmar bleibt äußerst angespannt
Noch hat Israel mit dem Abriss des Beduinendorfes Khan al-Ahmar nicht begonnen, doch häufen sich seit der Entscheidung des Obersten Gerichtes, das die Räumung im September für legal erklärte, die Übergriffe und Drohungen Israels gegen die Einwohner. Zum 1. Oktober sollten die Bewohner von Khan al-Ahmar ihre Häuser räumen, damit die Zerstörung beginnen konnte. Dank des zivilen Widerstands und massiver Proteste auch westlicher Regierungen, wurde die Frist zunächst um eine Woche verlängert. In der Zwischenzeit drangen immer wieder israelische Grenzpolizisten in das Beduinendorf ein und attackierten Aktivisten und Einwohner mit zum Teil erheblicher physischer Gewalt.
In der vergangenen Woche ging die israelische Grenzpolizei soweit, Aktivisten festzunehmen, männliche und weibliche Demonstranten mit körperlicher Gewalt von den Zufahrten zum Dorf zu entfernen und dabei auch vor dem Einsatz von Elektroschockpistolen nicht zurückzuschrecken. Mindestens sieben Demonstranten wurden verletzt, vier weitere verhaftet.

Theresa May appelliert an Israel, Khan al-Ahmar nicht abzureißen
Das veranlasste am vergangenen Mittwoch im britischen Parlament den Abgeordneten Alistair Carmichael, einen dringenden Appell an die britische Premierministerin, Theresa May, zu richten. Sie möge, so Carmichael, dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu deutlich machen, dass es sich um besetztes Gebiet handele und dass dies „unter Schutz stehende Flüchtlinge“ seien, deren gewaltsame Vertreibung „ein Kriegsverbrechen“ darstelle.
Die britische Premierministerin, die sich bei den Feiern zur Balfour-Deklaration in London letztes Jahr noch überschwenglich freundlich gegenüber Netanyahu gezeigt hatte, antwortete im Parlament direkt und mit für sie ungewöhnlicher Klarheit.
Am 11. Oktober, so May, habe der zuständige britische Minister mit dem israelischen Botschafter in London ein Gespräch geführt und sehr deutlich auf die „erheblichen Bedenken“ hingewiesen, die die britische Regierung bezüglich Israels Plänen habe, das Beduinendorf Khan al-Ahmar abzureißen.
„Der Abriss wäre ein schwerer Schlag für eine Zwei-Staaten-Lösung mit Jerusalem als geteilter Hauptstadt“, so May im britischen Unterhaus. „Ich appelliere nochmals an die israelische Regierung, den Schritt, Khan al-Ahmar und die dortige Schule zu zerstören und die Bewohner zu vertreiben, nicht durchzuführen.“
Bereits in der Vergangenheit hatte sich die britische Regierung wiederholt gegen den Abriss des Beduinendorfes eingesetzt und im Juni ihren Generalkonsul gemeinsam mit den Vertretern der EU nach Khan al-Ahmar geschickt. Die EU-Vertreter hatten danach gemeinsam Israel aufgefordert, das Dorf nicht abzureißen.
Nachdem das Oberste Gericht in Israel den Abriss von Khan al-Ahmar für legal erklärte, reiste der britische Minister für den Nahen Osten, Alistair Burt, persönlich ins Beduinendorf, äußerte sich „hoch besorgt“ und drückte seine Hoffnung aus, dass Israel diesen Schritt nicht gehen wird.
Auch die Bundesregierung hatte Ende Mai „eindringlich“ an die israelische Regierung appelliert, den geplanten Abriss zu unterlassen. Palästinensische Quellen in Ramallah berichteten Anfang dieses Monats, die Bundeskanzlerin habe den Kabinettsbesuch in Israel im Oktober davon abhängig gemacht, dass Khan al-Ahmar nicht abgerissen wird. Eine offizielle Bestätigung dazu gab es in Berlin nicht.
Israel spricht von „Heuchelei“ – und heuchelt selber
Dass die israelische Regierung zwar mit dem Abriss noch nicht begonnen hat, aber nicht gewillt ist, die Sache zu den Akten zu legen, bewies am heutigen Montag die stellvertretende Außenministerin, Tzipi Hotovely. Sie verurteilte den internationalen Widerstand gegen den Abriss des Dorfes als „heuchlerisch“.
„Khan al-Ahmar ist ein illegaler beduinischer Außenposten, und der Staat Israel ist der Aufrechterhaltung des Rechts verpflichtet“, sagte Hotovely.
Dass Israel sich hinsichtlich des Abrisses von illegalen Außenposten als Verteidiger des Rechts sieht, ist neu. Hotovely ließ bei ihrer Erklärung unerwähnt, dass es allein über 100 illegale israelische Außenposten in der besetzten Westbank gibt und die israelische Regierung plant, diese nachträglich zu genehmigen, um daraus weitere israelische Siedlungen zu machen.