(PN) 01.03.2019 – Die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt, Bärbel Kofler, ist am Mittwoch erstmals nach Israel und in die Palästinensischen Gebiete gereist. In ihrer Stellungnahme zur Reise, die das Auswärtige Amt verbreitete, kritisierte Kofler Israel für die Einschränkung der Handlungsräume für „besatzungskritische Nichtregierungsorganisationen“ und die Palästinensische Behörde für die „zunehmende Einschränkung der Zivilgesellschaft“.

Dass Bärbel Kofler nach Israel und Palästina reist, kam überraschend. Die eigentlich wortgewaltige Streiterin für Menschenrechte, die 2016 das Amt übernahm und klare Worte zu Menschenrechtsverletzungen nicht scheut, hatte sich zum Konflikt Israel / Palästina bisher nicht zu Wort gemeldet. Selbst die unzähligen, durch israelische Scharfschützen getöteten palästinensischen Kinder am Zaun von Gaza 2018, veranlassten bei Kofler keine Stellungnahme, obwohl die Menschenrechtsverletzungen nicht zu übersehen waren. Um so überraschter war man, als am Mittwochabend (27.02.2019) das Auswärtige Amt in einer kurzen Mitteilung bekannt gab, dass sich Kofler auf dem Weg nach Israel und Palästina befand.
Die Stellungnahme zu der dreitägigen Reise fiel merkwürdig knapp aus. Ohne wie üblich nähere Informationen zu der Dauer oder dem Ablauf der Reise zu geben, erklärte die Menschenrechtsbeauftragte Kofler laut Presseerklärung:
„In den letzten Jahren wurden die Handlungsspielräume von besatzungskritischen Nichtregierungsorganisationen in Israel immer weiter eingeschränkt. Dies werde ich in meinen offiziellen Gesprächen ansprechen und darauf hinweisen, dass eine lebendige Zivilgesellschaft und auch der Schutz von Minderheiten essentielle Bestandteile einer demokratischen Ordnung sind.“
Damit hatte Kofler erstmals seit ihrem Amtsantritt Israel öffentlich kritisiert und ihre Solidarität mit besatzungskritischen Nichtregierungsorganisationen, wie zum Beispiel den israelischen NGOs B‘Tselem oder Breaking the Silence, erklärt, die seit Jahren massiven Angriffen seitens der israelischen Regierung ausgesetzt sind.
Am Donnerstagmorgen (28.02.2019) um 10 Uhr, Kofler befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits vor Ort, verschickte das Auswärtige Amt per E-Mail an Pressevertreter eine erneute – rückwirkend auf 27.02.2019 datierte – Pressemitteilung zur Reise von Bärbel Kofler, mit dem Zusatz: „Korrektur“ und veröffentlichte diese auch auf der Internetseite des Amtes.
Nun wurden Dauer und Gebiete des Besuchs genannt, die Erklärung der Menschenrechtsbeauftragten jedoch fiel plötzlich anders aus.
Neben der Kritik an Israel, besatzungskritischen Nichtregierungsorganisationen den Handlungsspielraum einzuschränken, kritisierte Kofler nun auch die Gegenseite und erklärte:
„Mit Vertretern der Palästinensischen Behörde werde ich auch die zunehmende Einschränkung der Zivilgesellschaft ansprechen. Wir fördern eine lebendige Zivilgesellschaft in den Palästinensischen Gebieten, die einen entscheidenden Anteil am Aufbau eines demokratischen Staates auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung hat.“
Hebron ohne internationale Beobachter
Kofler nahm laut der neuen Pressemitteilung nun auch zu anderen Themen Stellung. Am 31. Januar 2019 hatte der israelische Premierminister, Benjamin Netanyahu, die seit 22 Jahren bestehende internationale Beobachtermission (TIPH) in Hebron ohne Abstimmung mit den internationalen Partnern für beendet erklärt. Die Mission diente seit dem Massaker 1994 an 29 palästinensischen Betenden in der Ibrahimi-Moschee durch einen extremistischen Israeli dazu, Übergriffe israelischer Siedler und Soldaten gegenüber der palästinensischen Bevölkerung zu dokumentieren und palästinensische Schulkinder in Hebron auf ihrem Weg zur Schule zu schützen. Rund 40.000 Angriffe von israelischer Seite in den vergangenen Jahrzehnten dokumentierte die internationale Mission in einem geheimen Bericht, der Ende Dezember über eine anonyme Quelle an die Öffentlichkeit gelangte. Netanyahu war erbost und sprach vom „Einsatz einer internationalen Kraft, die gegen uns agiert“. Am 31. Januar verkündete er überraschend das Aus für die TIPH. Die Beobachter aus Italien, Schweiz, Norwegen, Schweden und der Türkei mussten Hebron verlassen.
Proteste gegen das Ende der Beobachtermission in der von täglicher Gewalt gebeutelten Stadt Hebron kamen von den jeweiligen Beobachterregierungen, von der UN, und in der Form eines „Bedauerns“ mit Verspätung auch von der Bundesregierung. Daran anknüpfend erklärte die Menschenrechtsbeauftragte Kofler laut neuer Pressemitteilung aus dem Auswärtigen Amt nun am Donnerstag:
„Hebron ist ein Ort, an dem die gewaltsamen Auswirkungen des Konfliktes zwischen Israel und den Palästinensischen Gebieten besonders spürbar sind. Ich werde mir vor Ort einen Eindruck der Lage nach dem Ende der Beobachtermission TIPH machen. Die Bundesregierung bedauert die israelische Entscheidung, den Einsatz der Beobachter nach über zwanzig Jahren nicht mehr zu verlängern.“
Warum sie dies nicht bereits am Mittwoch erklärte, wurde nicht bekannt. Folgerichtig aber besuchte Kofler am ersten Tag ihres Besuches neben Susiya, Ramallah und Jerusalem auch Hebron, und schrieb auf Twitter: „[Ich bin] mit den Menschen vor Ort, israelischer und palästinensischer Zivilgesellschaft zusammengetroffen, um mir ein Bild von der Lage vor Ort zu machen.“

Israelische Menschenrechtsverletzungen in Gaza ignoriert
Auch zu Gaza äußerte sich die Menschenrechtsbeauftragte nun in der vom Auswärtigen Amt veränderten Pressemitteilung, erneut jedoch ohne auf die fürchterlichen Tötungen von Zivilisten durch israelische Scharfschützen in den letzten elf Monaten einzugehen. Dafür schrieb sie:
„Die humanitäre Lage im Gaza-Streifen ist besorgniserregend, die Versorgung und Arbeitsperspektiven sind durch die Abriegelung des Gebiets extrem erschwert. Die Bundesregierung ist – unter anderem über UNRWA – dort aktiv. Ich werde mit meinen Gesprächspartnern die Situation und unsere Unterstützungsmöglichkeiten erörtern.“
Die katastrophalen Lebensbedingungen in Gaza, maßgeblich verursacht durch die über zehn Jahre andauernde völkerrechtswidrige Blockade seitens Israel, sollen demnach Gegenstand der Gespräche vor Ort sein. Kein Wort sagte Kofler dagegen zu dem, was exakt am selben Tag in Genf die UN Kommission zur Aufklärung der Gewalt während der seit dem 30. März 2018 andauernden Proteste am Zaun von Gaza als mögliche „Kriegsverbrechen Israels“ bezeichnete.
Nachdem bei den in Gaza jeden Freitag stattfindenden Protesten israelische Scharfschützen zunehmend friedlich demonstrierende Palästinenser – darunter junge Kinder, Rettungssanitäter und Journalisten – erschossen, hatte der UN Menschenrechtsrat im Mai 2018 beschlossen, eine Untersuchungskommission einzurichten, die mögliche Verbrechen Israels untersuchen sollte. Am Donnerstag dieser Woche, einen Tag, nachdem Kofler nach Israel und Palästina gereist war, veröffentlichte die UN Kommission in Genf den Bericht, in dem Israel vorgeworfen wird, ohne Not und Berechtigung gezielt auf unbewaffnete palästinensische Opfer geschossen und dabei schwerste Verletzungen und den Tod von Opfern billigend in Kauf genommen zu haben.
Es ist schwer vorstellbar, dass Kofler am Mittwoch bei der Abreise von diesem Bericht keine Kenntnis hatte, denn als Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung nimmt sie regelmäßig in Genf an Sitzungen der UN teil und hat einen guten Draht zum UN Menschenrechtsrat, der diesen Bericht veröffentlichte. Nur zwei Tage vor Ihrer Abreise sprach sie vor dem UN Menschenrechtsrat, einen Tag vor Ihrer Abreise unterzeichnete sie namens der Bundesregierung bei der stellvertretenden Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Kate Gilmore, eine Vereinbarung über drei Millionen Euro Hilfe zugunsten der UN Menschenrechts-Organisation UNHCHR. „Deutschland fühlt sich auch weiterhin verpflichtet“, so Kofler auf Twitter, „die Arbeit und Unabhängigkeit des Büros des Hohen Kommissars für Menschenrechte zu unterstützen.“
Zwei Tage später erschien der vernichtende Bericht über scheußliche Menschenrechtsverbrechen Israels in Gaza, doch Kofler erwähnte ihn oder die dort dokumentierten Gräueltaten gegen palästinensische Zivilisten nicht.
Obwohl der Bericht – der nur den Zeitraum bis Dezember 2018 abdeckt – von fast zweihundert getöteten Palästinensern, darunter dutzende Kinder, spricht, findet sich in der Presseerklärung von Kofler, wie sie vom Auswärtigen Amt am selben Tag der Veröffentlichung des UN-Berichts in nun geänderter Fassung herausgegeben wurde, kein Wort zu diesen von der UN dokumentierten massiven Menschenrechtsverletzungen durch Israel. Lediglich die „besorgniserregende“ humanitäre Lage, die Versorgung und Arbeitsperspektiven werden thematisiert. Die schweren israelischen Menschenrechtsverletzungen, die Hunderten Palästinensern das Leben gekostet und Tausende zu Krüppeln gemacht haben, erwähnt die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung in ihrer Pressemitteilung dagegen mit keinem Wort.
Treffen mit Daoud Nasser, Träger des deutsch-französischen Menschenrechtspreises
Dass sich Kofler immerhin von den Auswirkungen israelischer Übergriffe in der Westbank ein Bild machen wollte, bewies ihr Treffen am Donnerstag mit Daoud Nasser, Träger des deutsch-französischen Menschenrechtspreises 2018. Zu Nassar zu gelangen, ist nicht einfach. Die israelische Militärverwaltung blockiert die Zufahrtsstraße zu seinem Weinberg nahe Bethlehem immer wieder mit großen Felsbrocken und macht sie unpassierbar. Doch Nassar, der seit fast zwanzig Jahren mit seiner Nichtregierungsorganisation „Tent of Nations“ mit friedlichen Mitteln gegen die zunehmende Besetzung des palästinensischen Landes durch illegale israelische Siedlungen kämpft, lässt sich von den ständigen Schikanen nicht einschüchtern. Sein Motto lautet: „Wir weigern uns, Feinde zu sein.“
Dass die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung ihn nur zwei Monate nach der Deutsch-Französischen-Preisverleihung vor Ort besuchte, dürfte gegenüber Israel ein wichtiges Signal sein, dass Daoud Nasser und sein Friedensprojekt Deutschlands Unterstützung hat und nicht schikaniert werden sollte.
Ein ähnlich klares Zeichen hätte man sich hinsichtlich Vertretern der israelischen Zivilgesellschaft wie B‘Tselem oder Breaking the Silence, die seit Jahren massiven Angriffen durch die israelische Regierung ausgesetzt sind, auch gewünscht. Zwar re-postete Kofler am Freitag auf Twitter ein Foto, das sie mit Menschenrechtsaktivisten zeigt, doch Namen und Organisationen blieben unerwähnt. Der Direktor von B‘Tselem veröffentlichte dagegen am Freitag ein Foto auf Twitter, das Kofler mit einer B‘Tselem Vertreterin in Hebron zeigt. Auf ihre eigene Timeline übernahm Kofler das Foto nicht.
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Schon am 9.12.2017 habe ich an Frau Kofler, die über Menschenrechtsverletzungen Israels gern hinwegsieht, folgenden Brief geschrieben:
Sehr geehrte Frau Kofler.
Aus einer heutigen Nachrichtensendung im Deutschlandfunk erfuhr ich, dass Sie sich in Ihrer Funktion als Menschenrechts-Beauftragte der Bundesregierung für die Einhaltung von Menschenrechten stark machten. Sie nannten zurecht verschiedene Länder.
Seltsamerweise erwähnten sie nicht den Staat Israel, in dem allein zwei Dutzend Gesetze die palästinensischen Minderheit von 20% diskriminieren. Ganz zu Schweigen von der menschenverachtenden und demütigenden Besatzungs- und Siedlungspolitik gegenüber den Palästinensern im Westjordanland und der grausamen Blockade des Gazastreifens.
Sie sollen einmal geäussert haben, dass ja schliesslich die Regierung Israels demokratisch gewählt wurde. Wenn das für Sie eine Entschuldigung sein soll dann müssten Sie eigentlich für die Shoa Verständnis haben, denn Hitler wurde schliesslich durch demokratische Wahlen an die Macht gebracht.
In Wirklichkeit zeigen Ihre Äusserungen, welche ignoranten Politiker Schlüsselpositionen einnehmen. Wer wie Sie aus opportunistischen Gründen auf einem Auge blind ist und eine Doppelmoral pflegt, hat gar keine Moral. Sie sollten Ihren Posten räumen.
Ich verbleibe mit freundlichen Grüssen
W.Behr
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