(PN) 04.03.2019 – In den Streit um die diesjährige Vergabe des Göttinger Friedenspreises an die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V. hat sich jetzt auch der Musiker, Liedermacher, Komponist, Schauspieler und Autor Konstantin Wecker eingeschaltet. Wecker erhielt den Friedenspreis im vergangenen Jahr. In einem Brief an den Oberbürgermeister der Stadt Göttingen, der Präsidentin der Universität und den Leiter der Sparkasse zeigt sich der letztjährige Preisträger entsetzt darüber, dass Deutsche „in ungeheurer Anmaßung unsere jüdischen MitbürgerInnen belehren wollen, was Antisemitismus sei“. Und er plädiert an die Vertreter der drei Göttinger Institutionen, mit aller Kraft dafür zu sorgen, „dass es wieder zum Frieden kommt um die Verleihung dieses Friedenspreises“.

Der Göttinger Friedenspreis 2019 geht an die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V.. So hat es das Kuratorium, dem die Stadt Göttingen, die Universität Göttingen und die Sparkasse Göttingen angehören, beschlossen. Nach Vorwürfen durch den Zentralrat der Juden und andere, die – jüdische – Preisträgerin würde die internationale Boykott-Bewegung BDS unterstützen und sei damit „antisemitisch“, zogen der Oberbürgermeister der Stadt, die Präsidentin der Universität und die Leitung der Sparkasse ihre Unterstützung für die Wahl der Jüdischen Stimme zurück. Die Universitätspräsidentin entzog auch die Aula der Universität für die Preisverleihung, so dass diese, nach großem Engagement von Bürgern, nun am Samstag, 09.03.2019 in der Alten Feuerwache in Göttingen (um 12 Uhr) stattfinden wird.
Die Proteste aus der Bevölkerung von nicht prominenten und namhaften Mitbürgern waren immens, und sind vom Bündnis für die Beendigung der israelischen Besatzung e.V. im Internet ausführlich dokumentiert worden.
Am Wochenende schrieb der Chefredakteur der PALÄSTINA NACHRICHTEN dazu in einem Rundbrief an die PN-Abonnenten:
„Ist dem Oberbürgermeister, der Universitäts-Professorin und der Leitung der Sparkasse wirklich klar, was sie hier tun?
Nicht-Juden in Deutschland verbieten Juden in Deutschland den öffentlichen Auftritt, das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung, das Recht, sich mit Israel – ausgerechnet – auseinanderzusetzen.
Betrieben von Politikern und Funktionären, die angeblich Antisemitismus verhindern wollen – und sich nun selbst fragen lassen müssen, ob ihr Verhalten nicht beunruhigend antisemitische Züge trägt.
Hatten wir nicht alle gehofft, dass so etwas in Deutschland nie wieder geschieht? Dass nie wieder ein nichtjüdischer Deutscher einem Menschen jüdischen Glaubens vorschreibt, was er öffentlich sagen darf?“
Heute hat sich nun der Künstler und letztjährige Träger des Göttinger Friedenspreises, Konstantin Wecker, in einem Brief an die Präsidentin der Universität Göttingen, Prof. Dr. Ulrike Beisiegel, den Oberbürgermeister der Stadt, Rolf-Georg Köhler, sowie den Vorsitzenden der Göttinger Sparkasse, Rainer Hald, gewandt und sich angesichts der „ungeheuren Anmaßung, unsere jüdischen MitbürgerInnen belehren wollen, was Antisemitismus sei“, fassungslos gezeigt.
Wir drucken den Brief von Konstantin Wecker hier ungekürzt im Wortlaut ab:
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Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Beisiegel, sehr geehrter Herr Köhler, sehr geehrter Herr Hald,
für mich als Preisträger des Göttinger Friedenspreises sind die Vorwürfe, dass es sich bei der Organisation „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ um eine antisemitische Bewegung handeln solle, nicht nachvollziehbar.
Wie könnte ich, ein Künstler, der sich in vielen Texten und Liedern gegen Antisemitismus schon immer engagiert hat, es wagen, eine engagierte Gruppe jüdischer(!) Menschen des Antisemitismus anzuklagen? Einen Verein, in dessen Satzung unter Paragraph 2 ausdrücklich aufgeführt ist, dass sich die „Jüdische Stimme uneingeschränkt jeder Form von Antisemitismus, Antiislamismus sowie allen anderen Spielarten des Rassismus oder der Diskriminierung von Menschen aufgrund von Merkmalen wie Hautfarbe, Herkunft und Religion widersetzt“. Einen Verein, in dessen Satzung ebenso eindeutig steht, dass „Positionen, hinter denen sich antisemitische Einstellungen verbergen, mit dem Anliegen der jüdischen Stimme unvereinbar sind“!
Eine Bewegung, die sich auf derart großartige und menschliche Weise um eine Beendigung der entsetzlichen Konflikte zwischen Juden und Palästinensern bemüht, straft derart abstruse Antisemitismus-Unterstellungen von Grund auf Lügen. Und für mich, der sich seit vielen Jahrzehnten mit einsetzt für den Frieden auf diesem Planeten, ist es schwer zu verstehen, dass eine Bewegung, die weit über die eigenen engen Nationalgrenzen hinaus Frieden zu schaffen und vorbildlich Mitmenschlichkeit zu leben versucht, auf solchermaßen unzutreffende Weise mit dem Antisemitismus-Vorwurf überzogen wird.
Was – ich erwähne es nur am Rande – geeignet ist, unsäglich zu verharmlosen, was tatsächlich Antisemitismus ist. Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass Sie allen Ernstes der Gleichsetzung etwa einer Nirit Sommerfeld, dieser großartigen israelisch-jüdischen und deutschen Künstlerin, oder eines Rolf Verleger, der sogar einmal Vorsitzender war beim Zentralrat der Juden in Deutschland, zustimmen wollen mit den Hitlers und Goebbels von einst. Und was sind das eigentlich für Deutsche, die in ungeheurer Anmaßung unsere jüdischen MitbürgerInnen belehren wollen, was Antisemitismus sei und dass sie, diese (und andere) Juden, sogar selber Antisemiten seien? Für mich ist das unfassbar!!
Seit Jahrzehnten setze ich mich für Pazifismus ein, und meine Sympathie und meine Solidarität gilt auch deshalb dieser wichtigen Bewegung, die – so hoffe ich – noch für viele, viele andere Menschen zum Vorbild werden wird: für die unsäglich-leidenden Opfer des Nahost-Konfliktes – auf beiden Seiten! –, aber auch für uns, die wir nicht unmittelbar von diesen grausamen Konflikten betroffen sind.
Mein Herz schlägt nun mal für die Menschen, die über ihren eigenen Schatten zu springen vermögen – wie es diese zu Recht mit dem Göttinger Friedenspreis ausgezeichnete Organisation „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ tut.
Verbundenheit der Menschen zeigt sich gerade über trennende Gräben hinweg, und ich bin dankbar dafür, dass es eine Organisation wie die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ gibt, die eine solche zutiefst menschliche Verbundenheit – vorbildlich für uns alle – zu leben und für sie einzutreten versucht. Und bitte übersehen Sie auch dieses nicht: Hier soll nicht die Boykottbewegung BDS mit dem Friedenspreis ausgezeichnet werden, sondern eben diese auf Frieden und Verständigung setzende Menschenrechtsorganisation, die ein Ende all dieser furchtbaren Auseinandersetzungen will!
Und in deren Satzung – notabene – kein Wort der Unterstützung des BDS zu lesen ist.
Meine große Bitte an Sie ist: Unterstützen auch Sie den Versuch, dass in Göttingen ein solches Zeichen der Mitmenschlichkeit gesetzt werden kann – mit all Ihrer Unterstützung wie in den Jahren zuvor! Bitte sorgen Sie mit aller Kraft dafür, dass es wieder zum Frieden kommt um die Verleihung dieses Friedenspreises – auch von Ihrer Seite aus!
Mit freundlichen Grüßen
Konstantin Wecker
Hinweis der Veranstalter des Göttinger Friedenspreises:
Wer plant, an der Verleihfeier (9.3., 12h, Alte Feuerwache, Ritterplan 4, Göttingen) teilzunehmen, sollte bitte umgehend eine E-Mail an das Organisationskommittee senden anmeldung@goettinger-friedenspreis.de, mit Kopie an zumach@taz.de
Freie Plätze können nicht garantiert werden. Je früher Sie an der Alten Feuerwache eintreffen (Einlass ab 10:45h), desto größer die Chance. Die Verleihfeier wird vollständig per Video aufgenommen und wird am Sonntag, 10.3. im Internet auf Youtube eingestellt unter dem Stichwort „Göttinger Friedenspreis für Jüdische Stimme“
Die Finanzierung der Verleihfeier ist gesichert dank der großartigen Resonanz auf Andreas Zumachs Spendenapell vom 20. Februar. Über 260 Menschen haben gespendet.
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Verstehe ich da etwas falsch? Der Preis wurde doch vor allem aufgrund der Beschwerden des jüdischen Zentralrates zurück gezogen…. oder?
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Damit fing es an, dann blies die FDP ins selbe Horn, und zuguterletzt schloss sich noch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung an.
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